Wisst ihr was? Am 14.3. vor genau zwei Jahren, sind wir mit Sack und Pack nach Amerika gezogen. Dieser Beitrag ist also schon längst überfällig, immerhin haben wir bereits April. Ich habe den Post allerdings immer wieder geändert, weil es mir schwer fiel, in Worte zu fassen, was ich empfinde und erlebe ohne dabei Stereotypen zu bedienen und zu pauschalisieren. Nachdem ich mittlerweile einen Monat drüber geschlafen habe, müsst ihr jetzt da durch…
Wie fühlt es sich an, das Leben fernab der Heimat?
Haben wir hier ein Zuhause gefunden oder eher doch nicht? Das ist schwer zu sagen. Wir haben uns gut eingelebt und der Alltag funktioniert. Wir haben unsere Lieblingslebensmittelmärkte, -Restaurants, -Cafés, -Parks, -Eisbahnen und -Schwimmbäder. Wir haben Ärzte und Zahnärzte gefunden und wissen, wie das Gesundheitssystem hier funktioniert. Das amerikanische Schulsystem ist ebenso kein Buch mit sieben Siegeln mehr. Die Kinder sind aktiv in ihren Sportclubs. Sie haben Freunde gefunden, werden auf Geburtstagspartys eingeladen und ihr Englisch ist von dem der Nachbarskinder nicht mehr zu unterscheiden. Wir haben Freunde, die aushelfen würden, wenn z.Bsp. einer von uns ins Krankenhaus müsste etc. Kurzum, es gibt nichts, was uns im Alltag noch gross aus der Bahn werfen könnte.
Und trotzdem verbindet uns mit Amerika kein Heimatgefühl.
Vertrautheit ja, Heimat nein. Gründe dafür sind vor allem kulturelle Unterschiede, die uns zum Teil erst aufgefallen sind, nach dem wir länger als ein Jahr in diesem Land gewohnt haben. Anfangs war alles neu und aufregend und es gab unendlich viele Dinge zu organisieren. Der Alltag war anstrengend, weil wir erst herausfinden mussten, wie hier der Hase läuft. Die Verwaltungslogik funktioniert anders als wir das gewohnt waren und wir haben nicht selten auch nach vorherigem telefonischem Nachfragen, feststellen müssen, dass auf irgendeinem Amt dann noch ein Papier gefehlt hat, welches unbedingt benötigt wurde, wovon wir aber noch nie etwas gehört hatten. Der Wocheneinkauf hat eine halbe Ewigkeit gedauert, weil wir uns erst durch die verschiedenen Sorten eines Lebensmittels durchprobieren mussten, um die für uns beste Variante zu finden. Die Emailflut aus den Schulen der Kinder hat mich anfangs fast zum Verzweifeln gebracht, bis ich verstanden hatte, was davon wirklich wichtig war und was ich getrost ignorieren konnte. Nach zwei Jahren haben wir das System aber definitiv verstanden und unseren Weg darin gefunden.
Es gibt kulturelle Unterschiede, die sich nicht gänzlich überwinden lassen.
Jedem, der nach Amerika kommt, geschäftlich oder als Tourist, fällt als erstes die Offenheit und Gesprächsbereitschaft der Menschen hier auf. Du betrittst einen Fahrstuhl und es entwickelt sich häufig ein kurzes Gespräch mit einem völlig Unbekannten über Gott und die Welt. Du schaust dir eine potentielle Wohngegend an und die Nachbarn stellen sich schon vor, wollen dich kennenlernen und geben bereitwillig Auskunft über Schulen und Gemeindeaktivitäten. Auch wenn du im Supermarkt Schlange stehst, ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass du dich mit einigen anderen in der Schlange unterhalten wirst, deutlich höher als in unseren Gefilden. Im Restaurant kommt es schon mal vor, dass die quirlige Kellnerin einen siebzigjährigen Opi mit :“Hi Honey, what can I get you?“ begrüsst. Der zwischenmenschliche Umgang findet also eher schnell auf einer doch recht persönlichen Ebene statt. Das empfinde ich als sehr angenehm. Diese Offenheit macht es jedem Fremden leicht, sich hier willkommen und erwünscht zu fühlen. Jetzt könnte man darauf schliessen, wenn es so schnell persönlich wird, ist es sicher auch einfacher neue Leute kennenzulernen und mehr über sie zu erfahren. Nun, genau da liegt der Irrtum.
Amerikaner sind Weltmeister im Smalltalk
Sie geben dir ganz schnell das Gefühl willkommen zu sein. Freundschaften ergeben sich daraus jedoch eher selten. Meinem Eindruck nach haben Amerikaner in der Regel ein enges Verhältnis zu ihren Familien, öffnen aber ihre Häuser selten für Menschen, die sie nicht schon seit frühster Jugend kennen. Ganz nach dem Motto: „My home is my castle.“ Oftmals trifft man neue Bekannte ausserhalb der eigenen vier Wände in Restaurants. Das gilt übrigens auch für neue Schulfreunde der Kinder. Man trifft sich im Park und schaut erst mal wie’s läuft, bevor man jemanden zu sich ins Haus lässt. Kennt man sich länger, kann es dann schon mal eine Einladung nach Hause geben, aber mit den Eltern. Dass die Kids untereinander spontan was abmachen und man mit der Mutter des Schulfreundes einfach bespricht, wann, wie lange und bei wem gespielt wird, entspricht hier nicht den Gewohnheiten. Gesellschaftlich korrektes Verhalten ist sowieso super wichtig und fängt schon bei den ganz Kleinen an. Auf Spielplätzen sieht man nahezu keine entspannten Eltern, die ein Buch lesen, während Klein-Kevin im Sand buddelt, nein Mom und Dad buddeln mit und ermahnen bei jedem Annäherungsversuch ihres Sprösslings an ein anderes Kind, selbigen „to be nice and gentle“, bevor er auch nur einmal „piep“ sagen kann.
Die Gesellschaft ist von frühster Jugend an auf unverbindliche Integration getrimmt
Dadurch, dass die Kinder nicht, wie bei uns, mehrere Schuljahre im selben Klassenverband verbringen, sondern jedes Jahr wieder komplett neu durchmischt werden, sind sie es schon von klein auf gewohnt, immer wieder neue Leute kennenzulernen. Daraus ergibt sich dann das Gefühl, auch als Fremder praktisch überall willkommen und mit Interesse aufgenommen zu werden. Tiefere Freundschaften sind allerdings in diesem System nicht vorgesehen. Es entsteht der Eindruck der Oberflächlichkeit, die den Amerikanern immer wieder vorgeworfen wird. Mittlerweile muss ich sagen, dass ich diesen Eindruck teile ohne negativ werten zu wollen. Nach zwei Jahren hier und unzähligen Gesprächen mit Amerikanern, Expats und Eingebürgerten mit europäischen Wurzeln komme ich zu der Ansicht, dass es die vielfältigen und engen Beziehungsgeflechte, die wir in Europa kennen, hier schlichtweg nicht gibt. Wirklich enge Verbindungen, wie wir sie mit Freunden pflegen, hat man hier nur innerhalb der Familie, die einen deutlich höheren Stellenwert zu haben scheint als in Mitteleuropa. Mit Familie meine ich dabei nicht nur Eltern und Kinder sondern auch Grosseltern, Onkel, Tanten, Nichten und Neffen. Bei amerikanischen Kindern im Vor- und Grundschulalter sind die besten Freunde oft Cousins und Cousinen, weil sie zu ihnen einfach der engste Kontakt besteht.
Selbst langjährige Bekannte, Kollegen und Freunde kommen untereinander nur selten über Smalltalk hinaus
Wenn wir auf einer Party mit Amerikanern zusammentreffen, die sich untereinander schon ewig kennen, fällt uns immer auf, dass deren Konversation sich auf dem gleichen unverbindlich/oberflächlichen Level befindet, wie mit flüchtigen Bekannten. Man spricht über das gegenseitige Befinden, die Kinder, den Job etc., aber wird nie wirklich persönlich. Meinen Beobachtungen zufolge sind Europäer da völlig anders. Man lernt sich kennen, tauscht die üblichen Floskeln aus und findet relativ schnell heraus, ob es Gemeinsamkeiten gibt, auf denen man aufbauen kann. Wenn man auf einer Wellenlänge liegt, ergeben sich daraus dann beim nächsten Treffen schon deutlich persönlichere Gespräche. Man lädt die neuen Bekannten zum Essen ein, macht gemeinsame Ausflüge und mit der Zeit entwickelt sich eine Freundschaft. Wir Europäer tun uns anfangs zwar schwerer als die Amerikaner, überhaupt Kontakt zu neuen Leuten aufzunehmen, aber wenn wir uns dann mal öffnen, dann richtig.
Letzten Monat war ich auf einem „Blind Date“ mit zwei deutschen Frauen, die ich in einer Facebookgruppe kennengelernt hatte. Wir kannten uns vorher überhaupt nicht. Unsere einzige Gemeinsamkeit bestand bis dato darin, dass wir alle Expat-Moms in Ann Arbor sind und deutsche Wurzeln haben. Wir haben uns prächtig verstanden, bereitwillig unsere Lebensgeschichten inklusive Geburtsbericht ausgetauscht (gut, dass war vielleicht eher ungewöhnlich, ergab sich aber daraus, dass eine von uns gerade ein Kind in Amerika zur Welt gebracht hatte…;-)). Wir hatten bis weit nach Mitternacht tolle Gespräche und müssen uns jetzt beim nächsten mal sicher nicht mehr auf der Smalltalk-Ebene unterhalten.
Fazit: Die amerikanische Gesellschaft ist nicht beziehungsorientiert
Versteht mich jetzt nicht falsch: Ich will keine Kritik üben, am Leben der Menschen in einem Land, in dem ich Gast bin. Ich habe schon eine vergleichsweise hohe Anzahl Länder bereist und in einigen auch länger verweilt. Ich war sogar vor 20 Jahren schon einmal ein Jahr lang hier in Amerika – als AuPair. Und trotzdem ist mir damals nicht aufgefallen, wie gross die gesellschaftlichen Unterschiede tatsächlich sind.
Wenn wir in Europa an Amerika denken, denken wir oft, es gibt Unterschiede, aber wir sind uns kulturell sehr ähnlich. Bei näherer Betrachtung halte ich das für einen weit verbreiteten Trugschluss. Das ist auch kein grosses Problem, kann aber zu Frustration führen, wenn man als Europäer in die USA kommt und andere Erwartungen hat. Dann wird man nämlich zwangsläufig enttäuscht. Ich habe in den letzten zwei Jahren schon einige Familien kennengelernt, die teilweise schon mehr als 10 Jahre hier leben, deren Kinder hier geboren worden und die mit der Absicht gekommen sind zu bleiben. Sie planen den Rückzug nach Europa geben und als Hauptgrund dafür ein fehlendes soziales Netzwerk an. Das hatte ich so nicht erwartet. Ich dachte immer, wer mal mehr als fünf Jahre in den USA gelebt und den „American Way of Live“ in allen Facetten kennengelernt hat, geht nie wieder zurück. Für uns war zwar von Anfang an klar, dass wir nicht für immer bleiben werden, aber ich hatte da eher so praktische Gründe, wie horrende Gesundheits- und Ausbildungskosten im Hinterkopf.
Wenn ihr jetzt denkt, dass ich mit meiner Einschätzung völlig falsch liege, dann immer her mit der Kritik. Ich lasse mich gern eines Besseren belehren. Es interessiert mich wirklich, wie andere Expats das Leben in den USA empfinden.
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